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Der Alberta-Plan: Drei Ministerinnen wollen Deutschlands Schulsystem revolutionieren

RedaktionsNetzwerk Deutschland 

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Lehrermangel, defekte Schultoiletten und Pisa-Ergebnisse so schlecht wie nie – im deutschen Bildungssystem häufen sich die Probleme. Nun haben drei Bildungsministerinnen aus drei unterschiedlichen Parteien einen gemeinsamen Grundsatz-Plan erarbeitet, mit dem sie das Land aus der Bildungskrise führen wollen. Vorbild ist die Bildungsstrategie der kanadischen Provinz Alberta

 

Das Konzept mit dem Titel „Bessere Bildung 2035“ könnte auch bundesweit noch größere Aufmerksamkeit bekommen. Eine der Urheberinnen ist die schleswig-holsteinische Bildungsministerin und stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Karin Prien. Sie wird als mögliche künftige Bundesbildungsministerin gehandelt. 

 

Mit ihren Minister-Kolleginnen Stefanie Hubig (SPD) aus Rheinland-Pfalz und Theresa Schopper (Grüne) aus Baden-Württemberg plädiert sie dafür, sich in der von den Bundesländern dominierten Schulpolitik erstmals auf bundeseinheitliche Ziele zu verpflichten. Beispielsweise soll die Schulabbrecherquote gesenkt werden, deutlich mehr Schülerinnen und Schüler Spitzenleistungen erbringen und die Chancengleichheit erhöht werden. Außerdem sollen die Fortschritte digital gemessen und ausgewertet werden können. 

 

Die Ziele sollen für alle Länder gleichermaßen gelten – wie sie diese jedoch konkret umsetzen, bleibt ihnen überlassen. „Das Konzept soll möglichst anschlussfähig sein und helfen, Ressourcen gezielt und fokussiert einzusetzen“, sagt Markus Warnke, Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Die Stiftung fungiert als Organisatorin und Herausgeberin des Vorschlags. „Wenn sich alle Länder darauf einigen können, wäre das ein Novum in der Geschichte des deutschen Bildungsföderalismus“, sagt Warnke.  

 

Konkret haben sich die Ministerinnen unter anderem auf folgende Ziele geeinigt:

  • Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik nicht erreichen, soll um 50 Prozent sinken.

  • 20 Prozent mehr Schülerinnen und Schüler als heute sollen die Regelstandards in Deutsch und Mathematik erreichen oder übertreffen.

  • 30 Prozent mehr Schüler sollen Spitzenleistungen in Deutsch und Mathematik erreichen.

  • Der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und schulischen Kompetenzen soll um 20 Prozent sinken.

  • Die Zahl der Schulabgänger ohne ersten Schulabschluss soll sich halbieren.

 

Vergleich politisch nicht gewollt​​​

Bislang achten die Bundesländer in der Regel sehr darauf, ihre Kompetenzen bei der Bildungspolitik nicht an den Bund abzugeben. Bundesweit verpflichtende Ziele waren deshalb bislang nicht durchsetzbar. „Der Vergleich war politisch nicht gewollt“, erklärt Susanne Lin-Klitzing dem RND. Sie ist Professorin für Erziehungswissenschaften und Bundesvorsitzende des Deutschen Philologenverband (DPhV). So sei Pisa-E, eine Studie, die den Vergleich zwischen den Ländern gezeigt hätte, abgeschafft worden. „Es muss klar sein, dass das Ziel nicht der Vergleich selbst ist, sondern was wir daraus lernen können.“  

 

Grundsätzlich begrüßt sie deshalb den Vorschlag der drei Ministerinnen. „Es ist klug, dass die drei Bildungsministerinnen sich parteiübergreifend zusammengetan haben und entsprechende Ziele markiert haben“, sagt sie. „Unsere Unterstützung für die Ziele haben sie. Bei den Wegen gibt es sicherlich Differenzen.“ 

 

Der Vorschlag offenbare aber auch die Schwächen des deutschen Bildungssystems – auch weil es in Deutschland keine einheitlichen Daten über die Schulleistungen gebe. „Damit legen die Ministerinnen den Finger in die Wunden“, sagt Lin-Klitzing. „Das Alberta-Konzept basiert ja auf datengestützter Unterrichts- und Schulentwicklung mit personalisierter Schüler-ID. Die haben wir nicht.“ 

 

Tatsächlich werden in Kanada eine ganze Reihe von Daten von Schülern und Schulen erhoben, um die Zielerreichung zu messen – etwa zu Abschluss- und Abbrecherquoten der Schulen, Ergebnissen von Leistungstests der Schüler und aus Umfragen zur Zufriedenheit von Schülern, Lehrern und Eltern.

 

Zwar gibt es erste Versuche, das zu ändern, allerdings nicht bundesweit. In Niedersachsen etwa ist geplant, eine derartige Identifikationsnummer im Jahr 2027 einzuführen, wie die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ berichtete.

 

Erst Baustellen angehen, dann neu denken

Die Messbarkeit sei wichtig, das müsse man angehen, sagte Lin-Klitzing, bevor das neue Konzept umgesetzt werden könne. „Die Tatbestände, wie wir sie gerade haben, müssen mindestens mitgedacht und konkret bearbeitet werden“, sagt sie. „Was nützt es, wenn ich etwa das Wohlbefinden der Jugendlichen messe, wenn die Voraussetzungen für eine Veränderung etwa im Schulbau politisch nicht mitgedacht werden?“ 

 

„Bessere Bildung 2035“ sieht beispielsweise eine bessere Verzahnung von Elementarbereich und Grundschule vor. Lin-Klitzing begrüßt das, es geht ihr aber nicht weit genug. „Es braucht eine diagnose-indizierte verbindliche vorschulische Förderung“, fordert sie. Soll heißen: Kinder sollen bereits vor der Schule auf Schulfähigkeit überprüft und gezielt gefördert werden, wenn sie Förderbedarf haben. „Das würde auch die Chancengerechtigkeit verbessern.“ 

 

Einen weiteren zentralen Baustein sieht Lin-Klitzing in der Ausarbeitung neuer Standards. Wann gilt eine Leistung als zufriedenstellend? Wann ist sie spitze? „Wir orientieren uns aktuell an Regelstandards. Die sind wichtig, sichern aber nicht das Bildungsminimum ab“, sagt sie. „Für eine Vergleichbarkeit und gezielte Förderung sind nationale Mindeststandards unerlässlich. Und zusätzlich brauchen wir Optimalstandards.“​​​​​​​

 

Voraussetzungen für Kinder zu heterogen

Aber ist das kanadische Konzept überhaupt auf Deutschland übertragbar? Nach Einschätzung von Gerhard Brand, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE), ja. „Die Impulse der drei Kultusministerinnen sind für Deutschland übertragbar, wenn es gelingt, den Datenschutz zu beachten, die notwendige Technik bereitzustellen und von Anfang an aufzuzeigen, wo die Mehrwerte von Messbarkeit liegen“, sagt er dem RND. 

 

Es sei aber zu kurz gedacht, nur auf die Institution Schule zu blicken, wenn es um die Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen gehe. „Unterschiedlichste Faktoren führen dazu, dass schon in der Schuleingangsphase deutlich wird, wie heterogen die Voraussetzungen der Kinder sind“, sagt Brand. „Dies kann eine allein unterrichtende Lehrkraft nicht auffangen.“ Für den Bildungserfolg der Kinder und Jugendlichen sei es daher zwingend notwendig, dass weitere Fachkräfte die persönliche und kognitive Weiterentwicklung der Schülerinnen und Schüler unterstützen. 

 

Die Signale aus den Ländern sind überwiegend positiv. Brandenburg lobt den „Anstoß für eine wichtige Debatte und Veränderungen im Bildungssystem“. In Thüringen gibt es eine „generelle Offenheit zur Verständigung über das vorgelegte Papier“. Die Bildungsministerin des Saarlands, Christine Streichert-Clivot, sieht in dem parteiübergreifenden Vorschlag eine Möglichkeit, „die Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen nachhaltig zu verbessern und Demokratie erlebbar zu machen“. Auch Bremen und Hamburg begrüßten den Ansatz.

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