"Und so ein Hirn, das trefflich denken soll ..." - Biologischer Tod oder künstliches Weiterleben?
Interdisziplinäre Perspektiven von Existenz, Sterben und Selbstbestimmung
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11. - 12. Dezember 2020
Düsseldorf: Haus der Universität
Die für den 11.-12. Dezember 2020 terminierte Tagung nimmt ihren Ausgang von einem literaturhistorischen Topos, der das Verhältnis von Leben und Tod, menschlicher und künstlicher Intelligenz weitsichtig zu antizipieren scheint: Goethes Wagner-Figur tritt im zweiten Teil seines Faust-Dramas als ein Wissenschaftler auf, der eine Invitro-Schöpfung des Menschen im Labor unternimmt. Die dabei erzeugte, als „Homunculus“ bekannte Figur vereinigt den hybriden Charakter naturwissenschaftlichen Fortschritts mit deren Kritik gleichermaßen. Paradigmatisch hierfür sind folgende Verse Wagners: „Und so ein Hirn, das trefflich denken soll,/ Wird künftig auch ein Denker machen.“ Der „Denker“ respektive Wissenschaftler entwirft das künftige „Hirn“, dessen Leistungsfähigkeit er durch die jeweiligen technologisch-funktionalen Prinzipien vorgibt. Ein solches Szenario wird oftmals mit der Entwicklung künstlicher Intelligenzen, neuronaler Netze und medizintechnischem Fortschritt assoziiert. Hiermit sind Chancen und Risiken gleichermaßen verknüpft. Denn in näherer oder etwas fernerer Zukunft werden Fragestellungen virulent werden, die die Leiblichkeit des Menschen durch derartige Technologien unterminiert sehen. Versetzen sie den Menschen in die Lage, seine Selbstbestimmung und Einflussnahme auf seinen Leib, etwa im Zuge palliativer und kurativer Maßnahmen, zu erweitern oder depotenzieren sie seine Leiblichkeit, beispielsweise im Zuge eines in letzter Zeit häufig debattierten Ich-Transfers auf eine maschinelle und digital codierte Basis? Welche medizinethischen Fragestellungen werden aufgeworfen, wenn neue technologische Möglichkeiten die existenziellen Rahmenbedingungen revolutionieren und die Grenzen bestehender Definitionen des Todes zu verschieben scheinen?
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Die Diskussion über die infrage stehende Umsetzbarkeit solcher technologischer Phantasien, vermittels derer der Mensch seine Intelligenz steigern, mit Künstlichen Intelligenzen interagieren oder sich gar selbst seines sterblichen Leibes entledigen und in ein maschinelles Surrogat hochladen kann, erfordert eine Reflexion auf ihre grundsätzlichen Voraussetzungen. Hierzu lassen sich philosophiehistorische Problemstellungen aktualisieren, die wesentlich das Verhältnis von Geist und Körper betreffen. Was sind „Geist“ und „Körper“ und wie entwickeln sie sich? Tritt Geist ausschließlich in verkörperter respektive verleiblichter Form auf? Lässt sich überhaupt eine Trennlinie zwischen ihnen ziehen, ohne Wesentliches vom Selbst zu verlieren? Kann „Geist“ auf künstlichem Wege erzeugt werden? Oder handelt es sich um eine täuschend echte Illusion, die eine künstliche Intelligenz in Interaktion mit Menschen leistet? Dann wäre auch zu fragen, welche Formen von Intelligenz unterschieden werden müssen (beispielsweise kognitive, emotionale oder soziale) und nach welchen ethischen Prinzipien, Parametern oder gar Maximen (?) derartige künstliche Intelligenzen für eine gelingende Interaktion mit Menschen handeln müssten.
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Derartige Technologien verlangen eine Öffnung bestehender fachlicher Grenzen zum interdisziplinären Dialog und somit auch eine Neubewertung von Existenz, Mensch- und Personsein, von Ich sowie von menschlicher und künstlicher Intelligenz. Die Tagung möchte die Komplexität dieser Themen auf eine provokative Alternation zuspitzen: „Biologischer Tod oder künstliches Weiterleben?“ Ein philosophiehistorischer Vortrag wird die geplante Tagung eröffnen, insofern er einen literaturwissenschaftlichen Fokus auf die thematische Trias von Existenz, Sterben und Selbstbestimmung legen soll. Im Bereich der Kognitionswissenschaften, der Psychologie, der Neurologie und Psychiatrie sind Vorträge geplant, die sich dem Phänomen der menschlichen Intelligenz und damit verbundener Talente aus verschiedenen Perspektiven annähern und sie mit existierender künstlicher Intelligenz kontrastieren, Gemeinsamkeiten, Differenzen und Grenzen aufzeigen. Inwiefern haben neue Medien Einfluss auf die Entwicklung menschlicher Intelligenz? Fördern sie die Selbstbestimmung im Sinne zunehmender Einflussnahme auf die lebensweltliche Umgebung, etwa durch Virtual Reality, autonome Systeme, künstliche Intelligenz und Sprachassistenzsysteme und die ständige Verfügbarkeit von Information?
Oder stellen sie eine Gefahr für die Entwicklung frühkindlicher und jugendlicher Intelligenz dar, da kreative und kognitive Prozesse an autonom agierende, künstliche Systeme delegiert werden? Worin liegen die Unterschiede, wenn man einerseits Violine spielen, Chinesisch lernen oder eine Holzmaske schnitzen kann, wenn doch andererseits entsprechende Technologien diese Fertigkeiten, denen wir uns mitunter mit großer Hingabe widmen, effizienter, schneller und besser (?!) herstellen können? Steht das fertige Produkt/Artefakt im Zentrum oder ist es die kreative Tätigkeit selbst? Was bedeutet es, wenn derartige Fertigkeiten im Zuge eines veränderten Technologie- und Medienverhaltens (etwa durch Touchscreens, Sprachsysteme und Social Media) in den Hintergrund treten und welche Auswirkungen lassen sich für die menschliche Intelligenz antizipieren?